ÜBER DAS LEIDEN
Wenn ich leide, dann leide ich – so richtig.
Ich leide, weil mir zu heiß ist.
Mein Körper verändert sich gerade.
Und manchmal schießt die Hitze durch mich durch.
Ich leide, weil ich alt werde.
Weil die Haare grau, die Haut schlaff und der Bauch größer werden.
Ich leide vor allem dann, wenn ich mich vergleiche.
Ich leide, wenn andere Skiurlaub machen.
Oder in den Süden fliegen.
Ganz einfach, weil ich das nicht tun kann.
Ich leide, weil ich in den vergangenen Jahren zu viele Zähne verloren habe, sodass essen wieder zur Qual wird. Wie schon damals mit 15.
Ich leide, weil ich so vieles alleine bewältigen muss, was mich oft so sehr überfordert.
Ich leide so sehr, weil ich manchmal gern lieber liegen bleiben würde.
Liegen bleiben für immer.
Nicht mehr aufstehen.
Ich leide, wenn ich meinen Kontostand anschaue.
Ich leide, wenn mich andere manchmal so mitleidig anschauen, wenn ich erzähle, dass ich mir dies oder jenes einfach nicht leisten kann.
Ich leide, wenn die Kinder sich nur über das neueste Dies oder das neueste Das unterhalten anstatt gemeinsam etwas zu unternehmen.
Ich leide, wenn sich 10jährige über Filme unterhalten, die nichts für Kinder sind.
Ich leide, wenn sie nicht mehr draußen spielen, sondern nur jeder für sich zockt.
Ich leide, weil meine Freunde so viel Stress und keine Zeit haben.
Ich leide, weil mir nur griesgrämige Gesichter begegnen.
Ich leide, weil ich verlernt habe, mich zu freuen und dafür voller Zorn und Ärger bin.
Ich leide, weil ich mir vor lauter Terminen nicht mal mehr meiner Bedürfnisse bewusst bin.
Ich leide, wenn ich nicht weiter weiß.
Ich leide, weil ich mit dem gegenwärtigen Moment im Widerstand bin.
Ich leide, weil die Zukunft mir gerade alles andere als rosig erscheint.
Und am allermeisten:
Ich leide, weil ich leide.
Ist es notwendig zu leiden?
Ich weiß es nicht.
Trotzdem ist da Leiden.
Früher, ja früher konnte ich noch ziemlich geschickt ausweichen.
Ablenkungsmanöver starten.
Fernsehen.
Rauchen.
Essen.
Arbeiten.
Fortgehen.
Meditieren.
… alles Strategien um das Leiden nicht fühlen zu müssen…
Seit das nicht mehr so gut geht, ist fühle ich es.
Und es ist manchmal fast unerträglich.
Es schmerzt.
Es tut weh.
Kavitha – 2023
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