„Es gibt für Jeden keinen anderen Weg der Entfaltung und Erfüllung als den der möglichst vollkommenen Darstellung des eigenen Wesens. „Sei du Selbst“ ist das ideale Gesetz, zu mindest für den jungen Menschen, es gibt keinen anderen Weg zur Wahrheit und zur Entwicklung.
Daß dieser Weg durch viele moralische und andre Hindernisse erschwert wird, daß die Welt uns lieber angepaßt und schwach sieht als eigensinnig, daraus entsteht für jeden mehr als durchschnittlich individualisierten Menschen der Lebenskampf. Da muß jeder für sich allein, nach seinen eigenen Kräften und Bedürfnissen, entscheiden, wieweit er sich der Konvention unterwerfen oder ihr trotzen will. Wo er die Konvention, die Forderung von Familie, Staat, Gemeinschaft in den Wind schlägt, muß er es tun mit dem Wissen darum, daß es auf seine eigene Gefahr geschieht. Wieviel Gefahr einer auf sich zu nehmen fähig ist, dafür gibt es keinen objektiven Maßstab. Man muß jedes Zuviel, jedes Überschreiten des eigenen Maßes büßen, man darf ungestraft weder im Eigensinn noch mit Anpassen zu weit gehen.
Sie sollten nicht fragen:“ Ist meine Art und Einstellung dem Leben gegenüber die richtige?“ – denn darauf gibt es keine Antwort: jede Art ist ebenso richtig wie jede andre Art, jede ist ein Stück Leben. Sie sollten vielmehr fragen: „Da ich nun einmal so bin wie ich bin, da ich diese Bedürfnisse und Probleme in mir habe, die so vielen andern scheinbar ganz erspart bleiben – was muß ich tun, um dennoch das Leben zu ertragen und womöglich etwas Schönes aus ihm zu machen?“ – Und die Antwort darauf wird, wenn Sie wirklich auf die innerste Stimme hören, etwa so sein: „Da du nun einmal so bist, solltest du andre wegen ihres Andersseins weder beneiden noch verachten, und sollst nicht nach der „Richtigkeit“ deines Wesens fragen, sondern sollst deine Seele und ihre Bedürfnisse ebenso hinnehmen wie deinen Körper, deinen Namen, deine Herkunft, etc: als etwas Gegebenes, Unentrinnbares, wozu man Ja sagen und wofür man einstehen muss, und wenn auch die ganze Welt dagegen wäre.“
aus Hermann Hesses: „Eigensinn macht Spaß – Individuation und Anpassung“
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