Du kennst sie sicher, die natürlichen Grenzen, die dir das Leben zeigt.
Eine solche natürliche Grenze wäre beispielsweise der Boden.
Wenn du vom Sessel fällst, dann zeigt dir der Boden eine natürliche Grenze auf. Hier würdest du bestimmt nicht sagen, dass du dich in deiner Freiheit eingeschränkt fühlst. Vielmehr wirst du dankbar sein für diese Grenze. Der Boden fängt dich auf.Und vor allem: Er bewertet dich nicht! Er sagt nicht: „Hättest du besser aufgepasst ….!“ Nein, er ist da. Zeigt sich dir. Und alles ist klar.

Anders ist es mit den Grenzen, die von Menschen gemacht und dir willkürlich erscheinen. Hier hast du bald mal das Gefühl deiner Freiheit beraubt zu werden bzw. beginnst du zumindest zu hinterfragen. So geht es dir als Mutter/Vater und so geht es auch deinem Kind.

In diesem Artikel geht es um die Herausforderung, Kindern Grenzen zu setzen und was das alles mit dir persönlich zu tun haben kann.

Grundsätzlich sind Grenzen immer etwas Persönliches.
Etwas, was in der Kindheit so gelernt und erfahren und damit fortgeführt werden möchte. Etwas, was dir als Wert wichtig ist und deren Einhaltung du dir wünschst. Im Laufe deines Lebens hast du viele solche Regeln übernommen und/oder aufgestellt und wünschst dir, dass es auch so bleibt.

Sobald du Kinder hast, werden diese – deine – Grenzen genauestens (über)prüft und gegebenenfalls wird deren Veränderung gefordert. Bist du dir dessen bewusst, dass du sobald du ein Kind hast, also vom Moment der Geburt an, genauestens beobachtest wirst?
Dein Kind möchte dich genau kennenlernen. Wissen, wie tu tickst.
Sozusagen „deine“ Regeln und Grenzen kennenlernen.
Dein Kind speichert genau ab wie du was tust, was dir wichtig ist, wo du unsicher bist usw. Es kopiert und prüft dich!

Dein Kind prüft deine Grenzen, Werte, Vorstellungen, Einstellungen, Verhaltensweisen. Es überprüft deine Standfestigkeit und die Haltbarkeit deiner dir wichtigsten Werte.

Experten meinen, dass alles was in einer Familie wichtig ist – Verhaltensmuster, Werte, Einstellungen – im Zeitraum bis 5 Jahren in den Kindern abgespeichert ist. Das heißt, sie wissen alles über uns. Nur wir meistens nicht.

Dein Kind ist auch genau deshalb Experte/in darin, deine wunden Punkte zu treffen und dich herauszufordern.
Es testet dich.
„Meint Mami das wirklich, oder tut sie nur so?“
„Ist Papi wirklich dieser Meinung, oder möchte er in Wahrheit lieber etwas anderes?“

Nichts, aber auch gar nichts bleibt im Verborgenen.
Und es ist gut und richtig so, denn dein Kind hilft dir dabei wirklich erwachsen zu werden.

Seltsam, wenn ich zum Thema Grenzen setzen jetzt bei dir als Mutter/Vater beginne, anstatt bei deinem Kind, oder? Jedoch finde ich diese grundsätzlichen Überlegungen wichtig um mit diesem Thema fortzufahren.

Prinzipiell mag ich ja das Wort „Grenzen“ nicht so gern.
Lieber mag ich den Begriff „Regeln“.
Grenzen klingen so absolut, so unveränderbar.
Doch sollten Grenzen immer veränderbar sein.
Sie dürfen und sollen angepasst werden.
Was z.B. für ein 1jähriges Kind gilt, gilt für eines mit 10 Jahren wohl kaum mehr. Klingt logisch, oder?
Darum lieber der Begriff „Regeln“.

Viele unserer Regeln wollen wir gerne beibehalten, wollen wir nicht verändern oder setzen einfach ungeprüft jene fort, die wir zu befolgen hatten. Doch unsere Kinder bringen dazu ganz genau zu prüfen, was jetzt und hier und heute für uns wirklich Gültigkeit hat.

Und gewiss ist es so, dass nicht nur wir unsere Grenzen haben.
Auch unsere Kinder zeigen uns ganz klar ihre Grenzen.
Allein daran wird schon ersichtlich, dass dies keine Einbahnstraße sein kann,sondern ständigem Abgleich bedarf und warum eine gute Kommunikation zwischen Eltern und Kindern so dringend notwendig ist.

Eine Grenze setzen wir immer dann, wenn wir Klarheit schaffen wollen darüber, was wir mögen und was nicht. Wo wir mitspielen und wo nicht. Daher sind sie immer persönlich.
Eine Grenze hat immer mit dir persönlich zu tun.

Jesper Juul sagt so schön: „Die Sprache der Liebe ist persönlich.“

Eine Grenze ist Ausdruck deiner inneren Vorstellungen, Einstellungen, Bedürfnisse. Und muss sich nicht mal mit den Vorstellungen des Partners*in decken. Denn auch hier sind die Grenzen sehr persönlich.

Im ersten Schritt gilt es grundsätzlich alle Grenzen zu bejahen.
„Ja, ich sehe dich.“
In weiterer Folge ist in einem Dialog herauszufinden, wo welche Grenzen überdacht werden könnten und wo evt. Kompromisse möglich sind. Denn sie sollen möglichst familiengerecht sein.
Weiters sollen sie klar und für alle verständlich sein. Und vor allem authentisch.

Jene Grenzen und Regeln, die du also übernommen hast, weil „man macht das nicht …“ kannst du getrost über Bord werfen.
Also bitte: Überprüfe dies für dich selbst.

Wertvoll ist es auch die Kinder miteinzubeziehen und zu fragen:
„Wie siehst du das?“

Das hebt nicht nur das Selbstwertgefühl sondern gibt auch ein Gefühl der Eigenverantwortung.

Kinder wollen kooperieren. Sie wünschen sich, dass es den Eltern gut geht. Und doch wollen sie natürlich auch ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen. Dass nicht jedes dieser Bedürfnisse befriedigt werden kann, ist klar. Hier gilt es zu überprüfen ob es ein authentisches Bedürfnis ist oder etwas worauf das Kind gerade halt Lust hat.

Jesper Juul dazu:„Die Hauptaufgabe von Eltern ist es, die fundamentalen Bedürfnisse von Kindern zu befriedigen. Das sind das Bedürfnis nach Nähe, Sicherheit, Fürsorge, Nahrung, Kleidung und Schlaf.“ Alles was drüber hinaus geht, sind eher Wünsche als Bedürfnisse. Und ob Eltern darauf reagieren, hängt meist von verschiedenen Faktoren ab: ob es den Werten der Eltern entspricht, ob es den eigenen Bedürfnissen widerspricht oder auch ob es den finanziellen Möglichkeiten entspricht.

Die alles entscheidende Frage ist: „Kann ich meinem Kind den Wunsch guten Gewissens und reinen Herzens erfüllen ohne mir irgendeine Gegenleistung zu erwarten?“

Nicht zu vergessen sind auf jeden Fall auch die eigenen Bedürfnisse. Eltern, deren Bedürfnisse über längere Zeiträume nicht befriedigt werden, werden frustriert und sie machen dann meist die Kinder dafür verantwortlich.

Was also tun?

Einerseits sich der eigenen Bedürfnisse bewusst werden.
Diese gegebenenfalls überprüfen. („Will ich es nur deshalb, weil man das so macht?“)
Mit den Familienmitgliedern in Dialog gehen und bestehende oder neue Regeln besprechen.

Wurden Grenzen aufgestellt, dann ist deren Einhaltung wichtig.
Sowohl von den Eltern als auch den Kindern. Überprüfe also sorgfältig, ob du selber die von dir aufgestellten Regeln einhälst, oder nicht.

Was also tun, wenn ein Kind diese Grenzen nicht einhält?
Welche Konsequenzen muss/darf/soll es geben?
Auch hier gibt es keinen Maßstab, der für alle Menschen gleich sein kann, denn wie schon gesagt, Grenzen sind immer etwas Persönliches.

Wichtig ist jedenfalls, dass es einen Zusammenhang zwischen dem „Fehlverhalten“ – der „Grenzüberschreitung“- und der Konsequenz gibt. Lässt das Kind zum Beispiel die Wäsche im Kinderzimmer liegen, anstatt in den Wäschekorb zu legen, so ist die logische Konsequenz, dass die Lieblingshose nicht gewaschen ist. Setzt das Kind beim Fahrradfahren den Helm nicht auf, dann muss es beim nächsten Mal zu Fuß gehen anstatt das Fahrrad zu benutzen.

Der Grundsatz: „Wir trennen den Täter von der Täterschaft“ ist für den Selbstwert der Kinder immens wichtig. Die Persönlichkeit an sich, wird nicht angetastet.

Es macht einen enormen Unterschied ob du sagt: „Sieh dir diese Bescherung an – du bist echt zu blöd!“ oder ob du sagst: „Jetzt ist das Glas wieder umgefallen, ich will, dass du damit bei Tisch bleibst!“. Die eine Aussage greift die Persönlichkeit an. Die andere sagt ganz deutlich was ich will.

Wenn du als Mutter oder Vater Bedenken hast, deinem Kind Grenzen zu setzen, dann möchte ich dich gerne daran erinnern, dass Elternschaft ein Prozess ist. Du kannst als Vater/Mutter mit und an deinem Kind wachsen. Und dein Kind an und mit dir wachsen.

Also bitte keine Angst vor Fehlern.

„Als Eltern machen wir sowieso Fehler. Keiner kann immer alles richtig machen. Es kommt darauf an, es mit so viel Liebe wie möglich falsch zu machen.“

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