Kannst du dich als Mutter/Vater deinem Kind gegenüber auch mal zurücknehmen?

Als Eltern haben wir mehr Überblick. Wir sehen die Dinge mehr in einem Gesamtzusammenhang. Das ist natürlich so, denn wir haben ja auch schon einiges mehr an Erfahrungen gesammelt. Und das ist auch gut so. Wenn wir Eltern uns dazu entscheiden, ein Kind groß zu ziehen, dann folgen wir meist dem, was wir selbst als Kinder erfahren haben. Oder aber wir tun genau das Gegenteil davon.

Immer sind wir motiviert, freuen uns auf das neue Wesen und möchten es natürlich auch bestens auf diese Welt „vorbereiten“.

Manche Eltern kommen im Lauf der Zeit drauf, dass es gar nicht optimal läuft, zumindest nicht so wie sie es sich erträumt haben. Manchmal ist es wirklich schwierig Eltern zu sein. Es führt uns an unsere Grenzen. Und es bringt uns – glücklicherweise – auch darüber hinaus. Doch das fällt nicht immer leicht.

Als 3fache Mutter bringe ich einiges an Erfahrungen mit und kann sagen: ja, es ist nicht immer leicht. Ja, es zipft mich manchmal an. Und doch… ich habe so einiges gelernt in den letzten 25 Jahren. (Ja, mein Ältester wird heuer 25 Jahre alt!)

Ich habe viel gelernt. Über mich. Über meine Muster. Über das was Kinder brauchen. Ich habe mich fortgebildet, viel gelesen, und davon möchte ich gern etwas teilen.

Die Eingangsfrage war ja: „Kannst du dich als Mutter/Vater deinem Kind gegenüber auch mal zurücknehmen?“ Im Laufe meines Mutterseins hat sich etwas grundlegend geändert. Nämlich meine innere Haltung – nicht nur meinen Kindern gegenüber. Aber das ist eine andere Geschichte :-).

Also die „neue“ innere Haltung ist: Mein Kind kommt mit seinem inneren Plan. Es kommt mit seiner Aufgabe. Es bringt ganz viel mit. Und ich darf es bestmöglich begleiten, damit all das zum Vorschein kommt, was es in diesem Leben braucht.

Mein Kind ist kein Objekt, das ich zu befüllen habe. Es ist auch nicht jemand, dem ich Manieren beibringen muss. Es beobachtet mich. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Ich bin sein lebendes Vorbild. Mein Kind ist nicht dazu da, meine Bedürfnisse zufrieden zu stellen. Und auch nicht, eine Leere zu füllen. Mein Kind ist nicht dazu gekommen, ständig von mir belehrt und korrigiert zu werden. Und schon gar nicht, dass ich ihm meine Sichtweise auf die Welt überstülpe.

Ein Kind möchte seine eigenen Erfahrungen machen. Es kann mit Fehlern umgehen, so die Eltern das gestatten. Es muss seine Grenzen ausloten um sich besser zu orientieren. Und das immer und immer wieder.

Welchen Fehler habe ich gemacht? Ha, viele. Aber konkret den, dass ich dachte, ich wüsste wo es lang geht und ich müsste mein Kind lenken.

Heute denke ich darüber anders. Es ist ein ständiges Ausbalancieren von dem was mir wichtig ist und was für mein Kind wichtig ist. Und da braucht es auch manchmal von mir einen Schritt zurück. So lernt auch das Kind, sich manchmal zurück zu nehmen. Es lernt mal zu warten. Es lernt zuzuhören. Es lernt geduldiger zu werden. All das kann ein Kind normalerweise noch nicht. Warum? Weil es im unmittelbaren Jetzt lebt. Anders als die meisten Erwachsenen. Es will es jetzt. Sofort. Warten gibt es nicht. Und doch kann ein Kind es lernen.

Wenn das Kind noch ganz klein ist, möchte es die Welt entdecken, erfahren und vor allem begreifen. Sprich: Mit dem Essen herumpatschen. Keinesfalls ist die Absicht die, Mutter oder Vater zu ärger, sondern das Ding, das es zu essen bekommt, zu begreifen. Zu fühlen. Eine wichtige Erfahrung. Es lernt z.B. zwischen weich und hart zu unterscheiden.

Oder es steckt Dinge in den Mund. Die sensiblen Lippen helfen dem Baby dabei die Dinge zu erfühlen. Auch hier wieder: Es lernt zu unterscheiden.

Wenn wir als Eltern das zum Beispiel wissen, fällt es uns leichter dem Kind solche Erfahrungen zu ermöglichen. Und mit der Zeit wird es sich bei den Eltern abschauen, wie es „ordentlich“ isst. Einfach so, weil es zum natürlichen Lernen eines Kindes gehört.

Wird ein Kind in seiner Welt, in seiner Wahrnehmung, in seinem Erleben, seinen Wünschen usw. wahr genommen, gesehen und gehört, so ist dies eine der wertvollsten Erfahrungen, die wir ihnen als Menschen schenken können. Und dazu ist es vielleicht manchmal notwendig, selber als Eltern einen Schritt zurück zu machen und zu beobachten. Das Kind auf seinem Weg zu begleiten. Da zu sein. Dem Kind nah zu sein. Aber es seine eigenen Erfahrungen machen lassen. Das ist nicht immer leicht. Ja. Das stimmt. Aber es lohnt sich wirklich.

Welches Kind rebelliert eher? Eines, das gehört wird, oder eines, das ständig um das Gehörtwerden kämpfen muss?

Welches Kind lernt Selbständigkeit und (in seinem jeweiligen Rahmen) Selbstverantwortung? Eines, das gesehen wird oder eines, deren kindlichen Wünsche übersehen werden?

Konkret was meine ich da zum Beispiel: Dein Kind spielt. Es baut etwas. Immer und immer wieder fällt der Turm um. Wie schnell bist du da um ihm seinen Turm aufzubauen? Oder kannst du daneben sitzen und es bei seinen Versuchen beobachten. Einfach da sein.

Ein anderes Beispiel. Dein Kind möchte gerne auf einen Sessel klettern. Wie schnell hebst du dein Kind hoch um ihm zu helfen? Oder schaffst du es, da zu sein und es dabei zu beobachten? Dazu noch eine Frage: Hast du schon mal so richtig bewusst gesehen & gefühlt, wie dein Kind strahlt, wenn es aus sich heraus etwas Neues gelernt oder etwas „geschafft“ hat?

Jetzt könnte dies auch so gesehen werden, dass ich meine, das Kind sich selbst zu überlassen. Nein, das meine ich damit gar nicht. Da sein. Dabei sein. Inneren Halt geben. Das braucht die Anwesenheit. Und gar nicht viele Worte. Und doch das Kind es selber machen lassen.

Das bedeutet natürlich auch die Frustration des Kindes auszuhalten, wenn etwas mal nicht gelingt. Auch das gehört dazu. Das gehört zu unserem Erwachsenen-Leben genauso dazu. Und je mehr Kinder diese Frustration erfahren „dürfen“, desto leichter fällt es ihnen, mit diesen Gefühlen umzugehen.

Also ich glaube, es wird ein bisschen deutlich, was ich hier zum Ausdruck bringen möchte. Und ehrlich gesagt, gefällt mir diese Aussicht, diese Vorstellung, diese Möglichkeit, dass viele, viele Kinder bewusst gesehen, gehört, wahr genommen werden und so zu selbstverantwortlichen, selbständigen, mitfühlenden Erwachsenen & Eltern werden. Welch ein schönes Bild.

Kavitha – 2021

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